Über den Kirchturm hinaus
Rheinpfalz Neustadt
Vor kurzem meinte unsere Bundeskanzlerin, dass die Coronakrise die größte Herausforderung sei, die Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg zu bewältigen habe. Da hat sie sicher nicht ganz unrecht. Wir merken ja erst jetzt, wie gut es die ganze Zeit gegangen ist. Noch keine Generation vor uns hatte eine so lange Friedenszeit, wie wir sie in Deutschland erlebt haben. 75 Jahre, in denen die tiefen Wunden, die der Krieg geschlagen hat, langsam verheilt sind. 75 Jahre, in denen sich vieles entwickeln konnte und viele Menschen unter sehr guten Bedingungen aufwachsen und leben konnten. Zur Zeit erleben wir nun etliche Einschränkungen. Manches, was normalerweise für uns selbstverständlich ist, geht plötzlich nicht mehr. Viele der älteren Menschen, mit denen ich in der letzten Zeit telefoniert habe, haben Vergleiche mit dem Krieg angestellt und erinnern sich, was sie damals selbst erlebt haben. Es mag zwar manche Parallelen geben, vor allem dieses unheimliche Gefühl der Bedrohung, das uns zusetzt. Aber glücklicherweise ist kein Krieg! Wir erleben keine Bombenangriffe und Nächte im Keller, niemand von uns muss auf andere schießen, unsere Kühlschränke sind trotz allem gut gefüllt. Die strengen Vorischtsmaßnahmen der letzten Wochen haben auch schon Wirkung gezeigt und uns bisher vor dem Schlimmsten bewahrt, was wiederum deutlich macht, dass wir selbst der Situation nicht so machtlos gegenüber stehen, wie es in einem Krieg wäre. Wir können tatsächlich etwas beeinflussen. Und wir haben technische Möglichkeiten, wie wir miteinander in Kontakt treten können, die die Menschen damals nicht hatten. Wir können uns weltweit Informationen besorgen. Vor allem haben wir in diesen letzten 75 Jahren gelernt, wie wichtig und auch bereichernd es, Menschen anderer Nationalität und Religion kennenzulernen und sich miteinander auszutauschen. Europa ist zusammen gewachsen und wird hoffentlich auch die momentane Krise überstehen und wieder enger zusammen arbeiten als es zur Zeit möglich ist. Es ist immer wieder wichtig sich daran zu erinnern, wie furchtbar das alles war, wie viele Opfer die Naziherrschaft und der Krieg gefordert haben. So etwas darf nie wieder geschehen. Da sind wir alle gefordert! Es ist wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben, auch über unterschiedliche Standpunkte. Das ist das Wesen der Demokratie. Manchmal ist es anstrengend, aber es lohnt sich, denn letztendlich dient es dem Frieden. Solch eine Situation wie im Moment hat eben noch niemand von uns erlebt, deshalb hat auch kein Mensch die Patentlösung parat, was nun richtig ist zu tun. Wir können nur immer wieder versuchen, uns von Fachleuten beraten zu lassen, verschiedene Meinungen anzuhören und dann im Dialog gute Lösungen zu finden, mit denen alle irgendwie (über-)leben können.
Martina Horak-Werz