17.05.2020
Dieser Sonntag hat den Namen Rogate: betet! Und alle Bibeltexte für diesen Sonntag haben natürlich etwas mit dem Thema Beten zu tun. In diesem Jahr geht es um das Vaterunser.
Beten Sie manchmal? Also ich meine, so ganz für sich, ohne Gottesdienst und so?
Ich habe die Vermutung, dass viele Menschen in den letzten Wochen mehr gebetet haben als sonst. Manchmal war es vielleicht nur so eine Art Seufzer im Sinne von: Oh Gott, was wird noch kommen? Oder: Oh, Gott, wie lange soll das noch so gehen? In Facebook fällt mir auf, dass Gebete erstaunlich oft geteilt werden. Ich selbst mache das auch immer wieder. Ich finde nämlich, dass sie oft sehr gut und auch kurz und knackig ausdrücken, was uns zur Zeit beschäftigt. Da muss kein langer Text gelesen werden, zu dem uns manchmal die Konzentrationsfähigkeit fehlt.
So ist es ja auch beim Vaterunser. Es fasst kurz und knapp alles Wesentliche zusammen. Da geht es genauso um unser tägliches Brot wie auch um unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen und unsere grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Leben. Das Vaterunser ist wohl das bekannteste christliche Gebet überhaupt. Es kommt schließlich in jedem Gottesdienst vor. Vor allem aber ist es ein Gebet, das uns mit Menschen auf der ganzen Welt verbindet. Überall in der Welt wird in christlichen Gottesdiensten dieses Gebet gesprochen. Für viele Menschen spielt es auch ohne Gottesdienst eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Ich kenne etliche Leute, die regelmäßig, wenn sie Kirchenglocken hören, ein Vaterunser beten. Vor allem natürlich auch im Moment, wenn jeden Abend um halb acht die Glocken zu hören sind. Dann fühlen wir uns miteinander verbunden, denken aneinander. So etwas ist wichtig in einer solchen Zeit, wo viele von uns sich schon ganz lange nicht gesehen oder gesprochen haben. Mir tut das gut zu wissen und diese Verbindung zu fühlen.
Warum gerade das Vaterunser für viele Menschen so eine Bedeutung hat, das lässt sich relativ leicht erklären.
Schließlich berichtet Matthäus, dass es von Jesus selbst stammen soll. Mit Nachdruck betont das Matthäusevangelium immer wieder, dass es nur einen einzigen Vater gibt, der zu Recht mit diesem Namen genannt werden kann und der als „der in den Himmeln” – den Vätern auf Erden gegenüber steht. Vor allem dem Kaiser in Rom, der sich Vater des Vaterlandes genannt hat und als Gott verehrt werden wollte. Es geht deshalb auf keinen Fall darum, ein einseitig männliches Gottesbild zu zementieren, wie es später leider geschehen ist. Es handelt sich bei Matthäus vielmehr um einen Akt des Widerstandes gegenüber den Herrschaftsansprüchen der irdischen römischen „Väter”. Es heißt aber auch: So vertrauensvoll wie Kinder mit ihren Eltern sprechen, so dürfen wir mit Gott reden. Alles, was uns bewegt und bedrückt, alles, was für unseren Alltag wichtig ist, können wir vor Gott bringen. Wie gut, dass wir darauf vertrauen können, dass nicht alles in unserer Hand liegt. Das sagt uns das Vaterunser auch. Vieles ist Gottes Sache, heißt es da: das Gottesreich, die Gotteskraft und die Herrlichkeit.
Und davon kann uns Gott ein bisschen schenken. Uns eine Ahnung von Gottes Reich geben und uns sogar ein Stückchen von Gottes Heiligkeit spüren lassen.
Manchmal, wenn ich bete, dann überkommt mich so eine Ahnung. Darum finde ich beten wirklich wichtig und notwendig. Unabhängig davon, ob wir mit eigenen Worten beten oder einen Stoßseufzer zum Himmel schicken oder eben das Vaterunser sprechen. Das hängt von den Umständen ab.
Aber es funktioniert. Nicht immer so, wie wir wollen. Es geschieht eben nicht unser Wille. Aber das ist ja manchmal vielleicht auch ganz gut so.