Kraft und Liebe und Besonnenheit
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Tim 1,7) So übersetzt Martin Luther den Vers aus dem 2. Timotheus-Brief.
Viele Menschen haben gute Gründe, sich zu fürchten. Fühlen sich abgehängt. Leben unter Hartz 4-Bedingungen, oder arbeitslos. In schwierigen, unsicheren Lebensverhältnissen. Oder als Rentner, Rentnerin mit einer kleinen Rente. Oder mit mehreren Jobs, um irgendwie über die Runden zu kommen. Ein selbstbestimmtes Leben? Ein Traum! Und auch die, denen es gut geht, die in gesicherten Verhältnissen leben, sind nicht furchtlos. Was ist, wenn ich vieles oder gar alle verliere?
Der Geist der Furcht. Oder auch: Geist der Verzagtheit. So spürbar in diesen Zeiten. „Das kann doch jetzt nicht immer so weitergehen“, höre ich immer wieder mal jemanden sagen. Im Vertrauen. „Das muss doch endlich wieder normal werden! Das ist ja nicht zum Aushalten! Wenn man doch irgendwas machen könnte!“ Menschen spüren deutlich, wie sich aus ihren Erfahrungen der letzten Monate ein immer dichteres Netz der Angst webt. Haben das ganz starke Gefühl, dass eine Zeit des Verlierens begonnen hat. Ein Ungeist, das ist er, dieser Geist der Furcht. Und Angst. Und Verzagtheit.
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
Gott hat uns mehr geschenkt. Kraft, Liebe, Besonnenheit: Damit stattet Gott mich aus. Oder, mit den Worten der Bibel in gerechter Sprache: Gott gibt uns einen Geist der tätigen Kraft und der liebevollen Zuwendung, einen Geist, der zur Vernunft bringt. Ganz egal in welcher Übersetzung, für mich ist dieser Text unglaublich aktuell. Sich nicht in die Angst und Furcht ergeben. Denn das ist nicht Gottes Geist, den wir da wirken lassen. Sondern die Gaben des Geistes leben: tätige Kraft, liebevolle Zuwendung und ein Geist, der zur Besonnenheit bringt.
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
Die Fesseln der Furcht abschütteln. Keine Angst mehr haben. Christus wurde auferweckt. Jesus ist auferstanden. Gottes Zeichen für uns, dass wir nie verlassen sind. Egal was geschieht. Und dies Vertrauen in unserm Leben leuchten lassen. Das ist die Herausforderung für jede und jeden. Immer wieder neu. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Kraft und Liebe und Besonnenheit.
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
Einen Schritt zurücktreten. Neue Kraft schöpfen aus dem Vertrauen in Gott. Dass wir unser Bestes geben. Und sicher sein, dass es weitergehen wird mit uns. Weil Gottes Leuchten unendlich ist. Und in diesem Leuchten werden immer wieder neue Formen geboren. Voller Kraft, voller Liebe und in aller Besonnenheit. Vielleicht so: Gott, du Quelle allen Lebens. Zeigen, wes Geistes Kinder wir sind, das möchten wir. Und mit deinem Geist leben. Das Leben gestalten. Gegen die Furcht aufstehen und uns aufrichten. Mit Kraft, Liebe und Besonnenheit. Lass dich spüren, wenn wir dich um deinen Geist bitten. Komm, du Geist der Kraft. Stärke mich. Erfülle mich. Mach mir Mut. Erinnere mich an meine Stärke. Lass mich mutig und frei weitergehen. Geist der Kraft, sei mit mir. Dass ich die Dinge bewältige, die vor mir liegen. Und die Menschen unterstütze, die mich brauchen. Aber auch die Stärke, wo es richtig ist, anderen Menschen zu widerstehen. Oder „Nein“ zu sagen, wo es nötig ist.
Komm, du Geist der Liebe. Wärme mich. Befreie mich. Mach mein Herz weit. Lass mich die sehen, die Liebe brauchen. Begleite mich, wenn ich helfe. Den anderen, die andere zu lieben versuche wie mich selbst. Dass ich Einsame besuche, deren Not niemand sieht. Und die, die nichts Gutes mehr in ihrem Leben erkennen. Mit wachen Ohren, die zuhören und verstehen, von Herz zu Herz.
Komm, du Geist der Besonnenheit. Breite dich aus in mir. Sei mir nahe. Dass ich tue, was richtig ist und nötig. Dass ich die Dinge überlege. Und sie in Ruhe und mit Verstand tue. Dass ich nicht spontan alles tue, was mir in den Kopf kommt. Sondern dass ich auswähle, die Möglichkeiten gut abwäge. Und manches auch lasse. Steh mir bei. Dass ich die Menschen achte, ja beachte, die meine Entscheidungen treffen.
Komm, du Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Hiltrud Warntjen
Pfarrerin in Vechta hiltrud.warntjen@kh-vec.de