Erntedank – Apfeldank
Apfel-Andacht. Schon das Wort appetitlich und schön. Da steht der Baum. Im Garten Eden. Der Baum des Lebens. „Von allen Bäumen im Garten darfst du essen.“ Doch, weil alles zwei Seiten hat, steht auch ein zweiter da. “Von diesem sollst du nicht essen. Du sollst dir nicht anmaßen, andern zu sagen, was gut und böse ist. Du sollst dir nicht anmaßen, sein zu wollen wie Gott.” Nimm vom Baum des Lebens. Vom Baum des Lebens dürfen alle essen. Müssen alle essen dürfen.
Der Apfelkuchen, den meine Mutter so gerne backte. Mit Zimt und Streuseln. Schmeckt nach Kindheit und Zuhause, nach Geschwistern. Und nach Streit ums letzte Stück, nach Sofa und Kuscheln und guter Müdigkeit. Nahrung für Leib und Seele. „Von allen Bäumen im Garten darfst du essen.“ Nimm vom Baum des Lebens. Vom Baum des Lebens dürfen alle essen. Müssen alle essen dürfen.
Da steht der Baum, appetitlich und schön. Nur die Bauern und Bäuerinnen schauen nach ihm. Die hohen Tiere, sie sehen auf den andern Apfel. Auf den Reichsapfel in der Hand des Herrschers. Erinnert der sich noch, warum es ein Apfel ist, den er in Händen hält? Wer oben ist, vergisst so leicht: vom Baum des Lebens dürfen alle essen. Müssen alle essen dürfen.
Zum Zankapfel wird schnell, was scheinbar knappes Gut ist: Leben für alle? Leben ist Kampf! Berufstätigkeit für alle? Frauen an den Herd! Gleicher Lohn für alle? Wo kämen wir da hin! Selbstbestimmung? Ja, aber doch nur, wo´s möglich ist! Du sollst dir nicht anmaßen, anderen zu sagen, was gut und böse ist. Du sollst dir nicht anmaßen, sein zu wollen wie Gott. Von allen Früchten im Garten darfst du essen, nur von dem einen Baum nicht.
Der Apfelbaum. Birgt ein Geheimnis. Von Mütterlichkeit. Von Geburt und Tod. Geheimnis eines Glaubens, der das Leben willkommen heißt, aber auch den Tod nicht verdrängt. Der mütterlich mit dem Leben umgeht – und deshalb dem Leben und dem Tod gewachsen ist. Von diesem Glauben lebe ich. Vom ersten bis zum letzten Atemzug. Diese Glaubensfrucht – die Apfelfrömmigkeit – soll mir in den Schoß fallen. Ins Herz. In Geist und Sinne. Gut biblisch das uralte Wissen: dass Mütterlichkeit dem Leben gut tut. Selbst wenn morgen die Welt untergeht, heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Da steht der Baum, appetitlich und schön. Auch für Menschen, deren Welt gerade untergeht. Die die Heimat verlieren. Oder die Gesundheit. Oder die Freude. Für die ein Apfelbäumchen pflanzen. Sie so begleiten, dass sie das Leben wieder spüren. Das ein Geschenk ist. Leben, in unsern Körpern, anfällig und verletzlich. Unsere Körper, die Freude schenken. Last werden können. Und Geschenke bleiben. Auch im Altern. Auch noch im Tod. Im Abschied, der ein bisschen wenigstens, dem Willkommen ähneln soll. Vom Baum des Lebens müssen alle essen dürfen.
Da ist das Kind. Das Kind der Maria. Hält in der Hand einen Apfel. Rund und schön. Appetitlich, wohltuend. Liebevoll, freundlich. Das Kind nackt und bloß. Zart und klein. Gehalten an der Mutterbrust. Das Kind der Maria, die im Herzen singt: alles Mächtige und Große ist in Wahrheit gar nicht mächtig und groß. Das Geringe wird erhöht! Apfelweisheit. Gott ganz klein und nackt und zart. Das Kind voll Marienweisheit. Vom Baum des Lebens dürfen alle essen. Müssen alle essen dürfen.
Nehmen wir uns einen Apfel. Schneiden ihn quer durch. Also anders als normal. Schauen uns das Schnittbild an. Und staunen: da ist er, verborgen im Apfel: der 5-zackige Stern. Wie der Stern von Bethlehem, dem die Weisen folgten. Wie unser Leben, mit Geburt und Jugend und Reife und Alter und Tod. Verborgen im Apfel, appetitlich und schön, uraltes Wissen: für dich und mich, für uns alle gibt es, was wir im Leben brauchen und ersehnen. Wohltuendes, Schönes, Nahrhaftes für Leib und Seele. Nimm und iss. Vom Baum des Lebens dürfen alle essen.
Lass dich nicht “veräppeln”. Vom ersten bis zum letzten Atemzug: dein Leben ist kostbar. Du, Augapfel Gottes. Nimm vom Baum des Lebens.
Hiltrud Warntjen
Pfarrerin in Vechta hiltrud.warntjen@kh-vec.de