Wirf dein Gewicht in die Wolken – Reformationsgedanken
Zum Berg gehen
den Fels herausreißen
aus seiner Lethargie
ihm Flügel zusprechen.
Steh auf
aus dem Staub
wirf dein Gewicht
in die Wolken.
Diese Chance
gibt dir das Wort
diese Chance
jetzt.
Poetische Worte der Dichterin Rose Ausländer. So kraftvoll! Und voll Energie und Zutrauen: du kannst viel bewegen, ja Berge versetzen! Geh zum Berg, reiß den Felsen heraus aus seiner Lethargie! Steh auf aus dem Staub und wirf dein Gewicht in die Wolken!
Mich bringen diese Worte in Bewegung. Fordern mich auf, jetzt, sofort, alles Lähmende abzuschütteln. Alles Schwere hinter mir zu lassen, wegzuwerfen. Und mir Flügel, mir Mut und Zutrauen zusprechen zu lassen. Diese Chance geben mir die Worte. Diese Chance jetzt. „Wirf dein Gewicht in die Wolken.“
So ähnliche und doch ganz andere … ganz andere und doch ähnliche Worte findet der Apostel Paulus: „Also, meine Lieben, wie ihr immer gehorsam gewesen seid, so seid es nicht nur in meiner Gegenwart, sondern noch viel mehr jetzt in meiner Abwesenheit, und müht euch um euer Heil mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist es, der in euch das Wollen wie das Vollbringen wirkt zu seinem Wohlgefallen.“ (aus dem Philipperbrief Kapitel 2 Verse 12-13, in der Auswahl zum Reformationstag)
„Also, meine Lieben!“ Kraftvoll und auffordernd schreibt Paulus. Seid gehorsam, gerade jetzt, wo ich im Gefängnis bin. Seid gehorsam, das heißt: bleibt dem Evangelium treu! Glaubt an die Befreiung, die ihr darin gefunden habt. Bleibt bei dem, was ihr von Gott erfahren habt. Was ihr erlebt habt. Müht euch um euer Heil! Arbeitet an euch! Setzt euch in Bewegung. „Wirf dein Gewicht in die Wolken.“
Paulus will aufrütteln, sich gerade jetzt nicht einschüchtern zu lassen. Steht auf aus dem Staub! Er fordert seine Lieben auf, das eigene Heil nicht preiszugeben. „Müht euch um euer Heil!“ Und spricht Mut zu: Ihr könnt es, denn Gott wirkt es in euch. In jeder und jedem Einzelnen. Ja, Gott wirkt es. In Euch, in dir und in mir. Von Gott bekomme ich den Willen und die Kraft. Wie alle bin ich ein von Gott geliebter, bejahter Mensch. Angenommen mit allen Fehlern und Schwächen. So wie ich bin. Also: „Steh auf aus dem Staub. Wirf dein Gewicht in die Wolken“!
Leben mit der Gewissheit, geliebter, bejahter Mensch zu sein. Sich davon tragen lassen. Aufstehen aus dem Staub meiner Selbstzweifel, die mich zu Boden drücken. Das Gewicht, meine Schwere in die Wolken werfen. Das Gewicht meiner Selbstanklagen. Dass ich mir selbst, meinen Lieben, meinem Beruf, den anderen nicht genüge. Nicht gerecht werde. Dies schwere Gewicht von mir werfen. Ja. „Wirf dein Gewicht in die Wolken.“ Dort löst es sich auf in Leichtes.
Aufstehen aus dem Staub meiner Schuld, die meine Selbstachtung und meinen Selbstwert zerstört. Selbst wenn Menschen mir nicht vergeben, Gott hat schon lange verziehen. Und gehen! Zum Berg gehen. Gehen zu dem, was wie eine riesige Wand vor mir steht. Undurchdringbar, uneinnehmbar. Mir sagen lassen: Geh, denn du kannst es! Gott wirkt in dir das Wollen als auch das Vollbringen. „Wirf dein Gewicht in die Wolken.“
Mir sagen lassen: geh und reiß den Felsen heraus aus seiner Lethargie. Aus seiner Müdigkeit. Und Gleichgültigkeit. Geh, setze dich in Bewegung. Bringe in Bewegung, was erstarrt und festgefahren ist. Sei Motor, sei Hilfe zur Veränderung, wo sie nötig ist. Sprich Flügel zu, wo die Angst groß ist vor Veränderungen. Lass die Lethargie, diese zerstörerische Lähmung hinter dir. Lass dich anrühren, berühren. Lass dir Flügel zusprechen. Und den Mut, abzuheben, zu träumen, zu suchen, Ausschau zu halten. Lass dir Flügel zusprechen. Und glaube daran, dass du fliegen kannst, dass du frei bist! „Wirf dein Gewicht in die Wolken.“
„Lebe das Heil, das Gott dir schenkt!“ Ja, das ist meine Aufgabe, mein Beitrag zum Heil. Das Heil leben, das Gott mir schenkt. Es nicht verschenken, es auch nicht wegwerfen. Und mir meinen eigenen Wert und die Würde als Mensch, die Gott mir schenkt, durch nichts und niemanden nehmen lassen. Ja. Leben wir das Heil, das Gott schenkt, dir, mir, uns. Diese Chance gibt uns das Wort. Diese Chance – jetzt. „Wirf dein Gewicht in die Wolken.“
Hiltrud Warntjen
Pfarrerin in Vechta hiltrud.warntjen@kh-vec.de